Stell
dir mal vor, ...
... du wirst von einer Freundin auf eine Party mitgenommen – und du kennst niemanden! Deine Freundin tanzt mit dir, schaut dich an und sagt auf einmal: „Viel Spaß! Ich bin dann mal weg!“... und verschwindet.
So würden sich die Kinder fühlen, welche ohne eine behutsame Eingewöhnung in die Betreuung gebracht werden würden.
Dieses Beispiel wurde mir mal von einer ebenfalls sanft arbeitenden Kollegin während einer Fortbildung mit auf den Weg gegeben und seitdem sage ich das auch den Eltern ganz gerne - während einer Eingewöhnung, wenn es zur Situation passt.
Doch genau wie in dem Beispiel mit der „Erwachsenenparty“ ist es auch bei den Kindern in der „Kinderbetreuung(sparty)“: Ganz individuell. Das eine Kind war vielleicht schonmal auf einer „Party“, hat also im übertragenden Sinne schon Erfahrungen gesammelt, unter vielen Kindern unterschiedlichstem Alter zu sein - durch Krabbelgruppen, durch eine große Familie mit Geschwistern oder durch Kinder in der Nachbarschaft. Andere dagegen bringen diese Erfahrungen erstmal nicht mit in die Betreuung und sind trotzdem sehr aufgeschlossen und furchtlos den anderen Kindern und mir gegenüber und entwickeln somit Strategien, mit dieser neuen „Partysituation“ zurecht zu kommen. Und sie eventuell eine große Portion Zuversicht und Resilienz von Haus aus mitbringen. Andere sind von Geburt an vielleicht mit sich zufrieden und finden hier von Vornherein eine ruhige Ecke mit ihrem Lieblingsspielzeug und beobachten erstmal mit Abstand - sozusagen vom Tresen aus - die Party.
Das Wichtigste ist, dass die enge Freundin (im Beispiel Eingewöhnung hier also erstmal die Mutter), das Kind nicht allein auf der Tanzfläche zurücklässt, sondern als sicherer Hafen dabei ist, während sich das Kind orientiert:
andere Kinder, andere Frau (ich), andere Gerüche und Geräusche, andere Raumaufeiltung, anderes Spielzeug, andere Farbpalette, andere Werte.
Gleichzeitig sollte die Mutter Zuversicht und Stolz ausstrahlen - und eine Portion Flügel mitgeben - sich selbst wie ein inneres Mantra immer wieder zuflüstern: „Mein Kind kann das, ich gebe ihm diese Chance, wir schaffen das!“
VON ALICIA – Eine Eingewöhnung mit Höhen und Tiefen
Gestartet sind wir am 7.1.19. Wir kamen um 9 Uhr an und haben einfach geschaut, wie er sich in der Gruppe verhält. Es hat super geklappt. Er hat toll gespielt und kaum nach mir geguckt. So ging es Mi, Do und Fr dann weiter. Wir waren immer 1,5 - 2 Stunden da.
Für die nächste Woche war dann die erste Trennung angedacht - weil es so gut klappte in der ersten Woche. Doch leider war die Tagesmutter die folgende Woche krank. Sie hatte zwar ihre anderen Kinder da, wolle uns aber nicht anstecken und jedes zusätzliche Kind ist sei ja auch anstrengend. Wir setzten also die komplette Woche aus.
Danach ging es wieder normal weiter. Er spielte gut in der Gruppe. Den Dienstag ging dann meine Mama mit ihm zur Tagesmutter. So konnte sie sie auch kennenlernen. Für Mittwoch hatten wir dann die erste Trennung angesetzt.
Der erste Trennungsversuch war meiner Meinung nach aufgrund der Pause dazwischen etwas zu früh gewählt.
Wenn
MÖGLICH, kein Wechsel der Begleitperson:
Die
begleitende Bezugsperson muss eine tragfähige Bindung zum Kind
haben. Das Kind kann bspw. sowohl von Mama, Papa, Oma oder dem
(Paten)Onkel zur Willkommensphase begleitet werden.
Ungünstig
wäre jedoch, wenn das Kind sich während der Eingewöhnung auf
unterschiedliche Bindungspersonen einstellen müsste, da es in der
Zeit ohnehin sehr viel zu verarbeiten hat. Ein Wechsel der
Begleitperson wäre deshalb in der Anfangsphase der Betreuung (meiner
Meinung nach!) nicht unbedingt von Vorteil!
Als wir ankamen, wollte er direkt bei der Tagesmutter auf den Arm - so ein positives Zeichen! Ich blieb noch kurz da und als er tief im Spiel war (er liebt auch dort die Küche), schlich ich mich raus. 30 Minuten. Schnell einkaufen und zum Bäcker - oh, schon wieder zurück! Freudig wurde ich empfangen! Alles super! Hach, schön! (Ja, hier wusste ich noch nicht, dass Rausschleichen verkehrt ist - und hatte im Endeffekt Glück, dass es ihm nicht aufgefallen ist).
Immer verabschieden! Ein Hinausschleichen KANN einen immensen Vertrauensbruch zwischen Mama und Kind nach sich ziehen, sobald es merkt, dass Mama einfach so gegangen ist und das Kind daraufhin anfängt, unter Stresshormonen nach der Mama zu suchen.
Besser: Betreuungsperson fängt Abschiedsschmerz auf und begleitet diesen ganz bewusst.
Am nächsten Tag also 1 Stunde. Diesmal ging ich direkt, als wir angekommen waren. Mit Verabschiedung an der Tür. Soweit lief auch alles gut. Doch als Alexander an der Spülmaschine spielte, gab es ein Nein. Und da kam der Wille!? und mit dem das Weinen.. er ließ sich wohl von der Tagesmutter erst gut ablenken und beruhigte sich wieder. Als dann später eines der anderen Kinder weinte, wurde Alexander angesteckt und weinte mit (macht er öfter). Ab da gab es aber kein Halten mehr. Zum Glück war die Stunde da schon fast rum und ich stand kurze Zeit später wieder vor der Tür und übernahm mein weinendes Baby.
Ab da haben wir wieder einen Schritt zurück gemacht. Den Tag darauf (Fr) waren wir dann drei Stunden lang gemeinsam bei der Tagesmutter.
Insbesondere für Neuankömmlinge sollte ein längerer Welpenschutz gelten und generell sollte ein klares, strenges Nein eingänglich komplett vermieden werden.
Besser: Auf Augenhöhe begeben, erklären, warum man etwas nicht möchte, Alternativen anbieten.
Somit hat die Tagesmutter gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen:
Beziehungsaufbau zum Kind und die eigene (häusliche) Grenze gewahrt - ganz ohne Schreckmoment und Tränen.
Der Schritt zurück war in der Situation super.
Die kommende Woche ließen wir uns auch Zeit. Die Begeisterung beim Reinkommen war nicht mehr so groß wie am Anfang - aber er spielte weiterhin ganz toll. Er kam sich ab und zu immer wieder rückversichern, dass ich da bin. Wir blieben immer ca 2 Stunden, dann war er meistens müde vom Spielen. Ich habe mich zwischendurch hinter einer Stuhllehne versteckt, damit ich nicht so präsent für ihn und vor allem die anderen Kinder war - denn die fanden die zweite Tagesmutter hier auf einmal auf total spannend. So wuchsen die Abstände, zu denen er zu mir kam.
Woche 4 & 5: Wir waren fast drei Stunden da und er spielt gut mit den anderen. Allerdings hat er entdeckt, dass er unterm Stuhl durchkrabbeln und so wieder bei mir ist. Ist ja auch völlig okay! Wir versuchten mal eine Toilettentrennung, aber er rannte mir direkt weinend hinterher. Ich nutze die Zeit dort zum Lesen und versuchte bereits alles, um mich herum auszublenden.
Woche 6 waren wir dann in Urlaub. Zeit für uns beide, um durch zu atmen.
Woche 7 ging es weiter. Er spielte mit den anderen, kam sich seltener rückversichern, aber es fehlte einfach an Kontakt zur Tagesmutter. Sie spielte kaum mit ihm, je nach Tagesform mehr oder weniger. Auch im sonstigen Verhalten fiel mir immer mehr auf, was mir absolut nicht zusagte. Und so wuchs in mir der Wunsch, das Ganze zu beenden. Was wir in Woche 8 dann auch taten. Denn auch nach so viel Zeit gab es nur wenig Bezug zur Tagesmutter. Selbst wenn ich nur auf Toilette ging, schrie er sich schon ein. Nicht mal anziehen lassen wollte er sich von ihr. Übers Trösten brauchen wir wohl nicht sprechen.
Fazit der Mama (Alicia) selbst
Was war meiner Meinung nach falsch an der Eingewöhnung:
zu wenig Kontakt zur Tagesmutter. Sie unterhielt sich viel mit mir, saß sogar am Tisch mit mir.
Zu wenig Reaktion, wenn er weinte. Sie ließ ihn dann weinend zu mir krabbeln statt sich ihm anzunehmen.
Zu viele andere weinende Kinder und zu wenig Trost (s.u.)
Auf Nachfrage: einen Bezug stellt das Kind zu ihr erst her, wenn Mama weg ist.
Generelle Themen:
Nein-Umgebung (zu viel, was die Kinder nicht durften )
Unbegleitetes Weinen bei Wut (sowohl 1,5 als auch 2,5 Jahre alt)
Keine Beschäftigung der Kinder (nur freies Spiel Drinnen, gegen Draußen gab es immer einen Grund), kein Basteln oä (hatte ich vorher nicht hinterfragt)
Mehrmals die Woche war ein Hund da, öfter, als verabredet. An sich nicht schlimm, aber für mich immer ein Risikofaktor.
Stille Ecke / Spielauszeit
Wenn sich um Spielzeug gestritten wurde, wurde es weg geräumt.
Kommentar von Nadine:
Der Beziehungsaufbau der Betreuungsperson zur Mutter des Tageskindes ist zwar unerlässlich wichtig, insbesondere ganz zu Beginn. Dieser sollte dennoch auf die ersten zwei bis drei Tage gelegt und sich darauf fokussiert werden. Dadurch spürt das Kind, dass auch die Mama diesen Schritt wirklich vertritt und Vertrauen in die zunächst fremde Erwachsene aufbaut. Darauf aufbauend sollte die Tagesmutter aber umgehend damit beginnen, in Beziehung zum Kind zu gehen – Blickkontakt, mit lächelnder Mimik zum Spielen oder Erzählen auffordern, soass die Mama automatisch etwas in den Hintergrund rückt.
Dieser Zeitpunkt des Bezugspersonenwechsels scheint für mich hier verpasst worden zu sein, sodass es dem Kind am Ende schwer fiel, Abstand von Mama zu gewinnen.
Im Fazit der Mutter kann man erkennen, dass sie am Ende insgesamt unzufrieden mit der Situation und auch mit der Arbeit der Tagesmutter war. So sind ihr während des langen Aufenthalts immer mehr Zustände und Arbeitsweisen der Tagesmutter aufgefallen, die ihr nicht zusagten und die sie innerlich – wenn auch nicht äußerlich – kritisierte. Indem sie all diese Dinge mit sich verarbeitete, spürt nach und nach auch das Kind, dass die Mama Misstrauen aufbaut.
Liebe Alicia! Ich wünsche Dir und Deinem Sohn das Allerbeste, ihr habt es verdient! Ihr seid ein tolles Gespann und werdet euren Weg finden!
Hab herzlichen Dank für deinen bewegenden Bericht.
Alles Liebe