Die Intensität, mit der Babies oder junge Kinder ihre Bedürfnisse äußern, variiert von Kind zu Kind. Das eine Baby meldet sich zögerlich quengelnd zur nächsten Mahlzeit, das andere weint ad hoc und markerschütternd, um Nähe zu ersuchen.
High Need oder Low Need Baby?
„High Need Babies“ sorgen auf eine Art und Weise für sich selbst, die nach existenzieller Not nur so schreit. Das macht evolutionär gesehen durchaus Sinn: Stell Dir ein Steinzeitbaby vor, welches tagtäglich von Lebensgefahren wie Eiseskälte und gefährlichen Raubtieren bedroht ist. Die Babies, die in der Zeit vehement die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse nach Schutz und Nähe einforderten - daraufhin also immer dicht bei der Mama waren und verblieben, waren weniger gefährdet, vom Säbelzahntiger erfasst zu werden oder zu erfrieren. Ein echter Evolutionsgewinner, wie meine Instakollegin @kinderphysiotherapiemaike und Freundin ihren Sohn liebevoll und positiv gestimmt nennt.
Sogenannte Anfängerbabies hingegen („Low Need“ könnte man auch sagen) wirken grundzufrieden - schlafen und trinken reicht ihnen scheinbar über Monate hinweg aus, um ausgeglichen zu sein. Sie wirken gefestigt mit sich und der Umwelt, sodass man als Elternteil schnell vergisst, wie klein und bedürftig sie eigentlich doch noch sind. Dass sie ebenso gleiche Grundbedürfnisse haben und erfüllt wissen wollen, wie ihre eher auffälligeren und lauteren Artgenossen - daran müssen sich Eltern manches Mal ganz bewusst erinnern.
Der Leidensdruck der Familie ist entscheidend
Was macht es nun aber mit den Eltern, wenn diese scheinbar dauerhaft gefordert sind, weil die Bedürfnisse ihres High Need Babies unstillbar erscheinen?
Der Leidensdruck der Eltern ist hier entscheidend! Kinder kommen mit einer Bindungserwartung auf die Welt. Sie fordern Schutz, Nähe und Versorgung ein - durch Mimik, Gestik und am Ende durch verbale Äußerung mittels Schreien. Für das Antworten auf diese Bindungserwartung und damit das Erfüllen der lebensnotwendigen Bedürfnisse sind zeitgleich alleine die Erwachsenen zuständig. Hat der gerade zuständige Elternteil nicht ausreichend Ressourcen, wird der Bindungsaufbau erschwert. Das Bilden von Kraftreserven kann durch ein besonders forderndes Baby erschwert sein, weil bspw. die Mama das Gefühl hat, ihre eigenen Bedürfnisse voll und ganz hinten an stellen zu müssen - dazu zählt auch (oder eher ganz besonders) das einfache Wasserlassen oder die regelmäßige Flüssigkeitszufuhr und Nahrungdaufnahme, Schlaf uvm.!
Strategien, die vielen Eltern bedürfnisstarker Kinder helfen
Hier habe ich für Dich Tipps gesammelt, die mir persönlich oder engen Freunden im Zusammenleben mit ihrem (bedürfnisstarken) Baby halfen:
Auszeiten! Explizit Zeit ohne Kind. Ich persönlich hatte eine ältere Dame, die ehrenamtlich 2 Stunden mit meinem Sohn spazieren ging. Ausdrücklich zu einer Zeit, wo er auch müde war habe ich ihn eingepuckt im Kinderwagen übergeben. www.wellcome-online.de www.leihomas-leihopas.de
Das Tragen im Tragetuch, in einer Tragehilfe. Dabei in den Bewegungen möglichst groß, weit und ruhig sein, zB. im sogenannten Storchengang tief in die Knie gehen und nacheinander von Bein zu Bein langsam und lange durch „die Sümpfe waten“. Suche für den Beginn der Tragezeit gerne eine Trageberatung auf, wenn du das Gefühl hast, Dir das Tragen nicht eigenständig beibringen ZB.: www.trageschulehamburg.de
Stillberatung www.lalecheliga.de https://www.afs-stillen.de
Osteopathie
Elemente aus der Therapie der sensorischen Integrationsstörung (schau dazu mal in meinen InstaFeed - Sensorikglibber, Knete, Kinetic Sand, Stärke-Glibber etc.) - und gerne auch auf der Homepage meiner lieben Instakollegin und Ergotherapeutin www.kerstinmagens.com
Lieferdienste - für Mittagsmahlzeiten oder den generellen Lebensmittel-Einkauf!
Klare Absprachen mit dem - und Entlastungszeiten durch den - Partner/Vater des Kindes
Der Austausch mit Gleichgesinnten und zeitgleich das Meiden von Menschen, die negative Energien mit sich bringen.
Punkt 8 ist der perfekte Übergang zum Thema
„ Sind Betitelungen hilfreich?“
Pro und Contra
In meiner Elternbefragung auf Instagram kristallisierte sich folgende Haltung heraus [welche ich persönlich als Mama eines (gefühlsstarken) High Need und eines (ausgesprochen) Low Need Babies ebenfalls teile]: Dass „das Kind einen Namen hat“, haben viele als Erleichterung und eine positive Wendung im Zusammenleben mit ihrem sehr fordernden Baby empfunden, denn...
Es gab einen Anhaltspunkt, nachdem man im Netz suchen konnte, das hilft!
Eine Begrifflichkeit, die einem Zugang ermöglicht - Zugang zu mehr Verständnis für die Gefühlswelt seines Babies kann hilfreich sein.
Ein Stichwort, nach dem man auf sozialen Netzwerken suchen kann, um sich mit Gleichgesinnten austauschen zu können, ist wirklich sinnvoll!
Die Gewissheit, dass viele Kinder mit entsprechendem Temperament auf die Welt kommen, mindert das Gefühl, als Elternteil Schuld zu sein.
Vielen Eltern bescherte das Lesen im Internet oder in entsprechenden Büchern einen dieser „Aha-Momente“, welcher Verständnis für die Besonderheit Ihres Babies wachsen und Zweifel an der eigenen Weise ihr Kind zu begleiten, schwinden ließ.
Insgesamt wurde das Betiteln wenig negativ betrachtet. Dennoch gehen viele betroffene Eltern vorsichtig und bedacht damit um, sowohl in der (oft unwissenden) Gesellschaft, als auch direkt vor dem Kind selbst. Das sehe ich ganz genauso: Innerfamiliär oder gar nur in der (zweisamen / alleinerziehenden) Elternschaft kann es helfen, darum zu wissen, dass sein Kind in seiner Bedürfniswahrnehmung etwas anders tickt. Diesen Umstand aber mittels einer Begrifflichkeit zu nutzen, um sein Kind grundsätzlich darzustellen oder seine Besonderheit gar vorzuschieben, wenn es mal Schwierigkeiten im Umfeld gibt, macht auf lange Sicht wenig Sinn. Dem Kind einen „Titel zu verleihen“ kann im Sinne der „Sich selbst erfüllenden Prophezeiung“ auch nach hinten los gehen: „Ich tue das, was Du von mir erwartest, Mama!“
Kindliche Bedürfnisbesonderheiten in der Betreuung
Auch für Betreuungspersonen finde ich es sinnvoll, sich mit Besonderheiten des Temperaments von Kindern ganz im Allgemeinen auseinander zu setzen: hochsensibel, gefühlsstark, extrovertiert, introvertiert, schüchtern, temperamentvoll und vieles mehr. Viel zu oft werden Kinder über einen Kamm geschoren, wenn es ums kitainterne Regelwerk geht. Nicht selten werden dadurch Kinder in ihren Möglichkeiten überfordert. Nebst Empfehlungen zu altersgerechter Entwicklung innerhalb des Normbereichs etwas mehr hinter die Fassaden des kindlichen Verhaltens zu blicken, würde viele Beziehungen zwischen Kind und Betreuungsperson entspannen.
Wo kommt der Begriff „High Need Baby“ nun also her?
Der Begriff High Need-Baby stammt von Dr. William Sears. Er ist Professor für Kinderheilkunde in Kalifornien und Vater von acht Kindern.
Er ist Begründer des Begriffs „Attachment Parenting“ und Vater der Betitelung „High Need Baby“ (Baby mit hoher Bedürftigkeit). Um ein bedürfnisstarkes Baby näher beschreiben zu können, hat Dr. Sears 12 Anhaltspunkte heraus gearbeitet, die für ihn bei eben jenen Babies auffällig waren.
Frei übersetzt aus dem Original:
Intense - Das Baby wird als intensiv wahrgenommen.
Hyperactive - Das Baby wirkt übermäßig aktiv und interessiert.
Draining - Das Baby entleert den Energietank der Eltern.
Feeds frequently - Das Baby möchte in kurzen Frequenzen gestillt / mit Nahrung versorgt werden.
Demanding - Das Baby ist extrem anspruchsvoll.
Unsatisfied - Das Baby wirkt grundunzufrieden.
Awakens frequently - Das Baby erwacht leicht und oft.
Unpredictable - Das Baby scheint unberechenbar zu sein, seine Bedürfnisse scheinen unvorhersehbar, da sie sich oft ändern oder gleiche Bedürfnisse hochfrequent aufeinander folgen.
Super-Sensitive - Das Baby ist sehr sensibel in der Reizwahrnehmung.
Cant put baby down - Das Baby mag nicht abgelegt werden.
Not a self-Shooter - Das Baby beruhigt sich (willentlich!) nicht eigenständig (zB. Mit Schnuller oder Schnuffeltuch), sondern fordert die Unterstützung seiner Bindungsperson ein. Auch hier: absoluter Evolutionsgewinn, sich an die Person zur Beruhigung zu binden, die einen schützt.
Separation sensitive - Das Baby reagiert sehr empfindlich oder gar aufwühlend und abwehrend auf Trennungen.
Willensstark, Lebensbejahend, Intensiv - Dank Dir endlich in Beziehung
Du kamst in unsere dreiköpfige Familie und machtest uns so überglücklich. Wenngleich du vom ersten Moment an stetige Präsenz zeigtest ~ die Nächte waren lang, sitzend im Schaukelstuhl, die Tage zogen sich noch länger, während ich dich ununterbrochen im Tuch wohlig eng und warm gebunden durch den Alltag trug - manches Mal hätte ich mich am liebsten einfach so ins Auto gesetzt, da dir ein Autositz wohl nicht sonderlich zusagte. Mit den Monaten wurde ich müde, erschöpfter und zweifelte an meinen mütterlichen Kapazitäten. Was ist denn das, dass mir das so viel Energie raubt, mich so sehr triggert?
Eine Krankheit jagte die nächste und ich dachte so oft: wann hört diese Phase denn auf? Wenn der Papa zuhause war, brauchte ich regelrecht „Verschnaufspause“, etwas Abstand - und fühlte mich gleichzeitig so schlecht dabei. Lichtblicke im Alltag waren ganz klar zu erkennen: deine Feinfühligkeit menschlichen Signalen gegenüber. Deine übersprudelnde Freude bei Begegnungen, die dich irgendwie glücklich machten. Ja - ich sage „irgendwie“ denn ich erinnere mich an diese Momente, wo ich dachte: wo kommen diese ganzen Emotionen denn nun her? Dieses Glänzen in den Augen gepaart mit einem Jauchzen tief aus dem Bauch heraus - Halleluja! Bis zu diesem einen Tag - diesem einen Moment - ich werde ihn niemals vergessen: Irgendwas (ja auch hier wieder die Ratlosigkeit und keine Erinnerung an die Ursache) machte dich unglaublich wütend, du warst unfassbar verärgert. Du warst etwa anderthalb, wir waren bei schönstem Wetter im Garten und deine Gefühle übermannten Dich ganz und gar, sie überkamen Dich mit Haut und Haar! Du hast geschrien, gekreischt, geweint, gewütet. Ich stand voll Ohnmacht neben dir und konnte mich nicht rühren - setzte mich hin und ließ geschehen. Du warst so wütend, dass du dich im ganzen Gesicht zerkratzt hast - dein Ventil. Deine kleine Narbe hat uns beide gezeichnet und prangert wie ein Denkmal an deinem rechten Nasenflügel: Fang mich auf!
Dies ist meine persönliche Geschichte vom Weg hin zur Beziehung, weg von Erziehung.
Dieses
Foto da Oben von einem Familienausflug zeigt kein
gesellschaftskonformes Bild
Es hinterlässt aus Sicht vieler Menschen ganz sicher eher den Eindruck eines Rollentausches - vielleicht sogar eines ulkigen RollenSPIELS? Zwischen Geschwistern: „Ich bin das Baby, du meine große Schwester!“? ❌ Nö! Ganz klar nein! Das hier ist kein niedliches Spielchen, sondern ganz einfach die bedürfnisorientierte Realität: unser Mittlerer von vier Jahren, mit Schnuller im Kinderwagen - überreizt und müde - die Kleine mit anderthalb auf dem Kiddyboard, ohne Schnuller, neugierig und fit wie ein Turnschuh. .
Je mehr wir mit den starken Emotionen unseres Sohnes konfrontiert werden - desto mehr möchte ich aufklären - aufzeigen. Bei manch schrägem Blick nach einem Gefühlsausbruch oder verzweifelten Ruf nach dem Schnuller meines Sohnes möchte ich den vorwurfsvoll blickenden Menschen um uns herum manchmal entgegenbrüllen: „Oh wüsstet ihr nur, was der kleine Junge, was wir als Familie, was seine Geschwister immer wieder durchmachen!“. Doch auch eine Löwenmama brüllt irgendwann nicht mehr sondern schnurrt nur wie ein Kätzchen - und zwar um sein Junges zu beruhigen, aufzufangen und in Liebe einzuhüllen. Denn ich bin ganz ehrlich: auch ich hätte damals, mit Anfang zwanzig - als Erstlingsmama - niemals geglaubt, dass „solche Kinder“ vom Naturell so sind - neee das ist alles „hausgemacht“! Niemals hätte ich daran gedacht, dass ihre Wahrnehmung der Sinnesreize viel stärker ist, als bei anderen Kindern. Das ist übrigens nicht nur bei negativen, sondern auch bei positiven Emotionen so! Ich war überrascht, welch Freude dieser wundervolle Junge empfinden kann.
Ich
stand also damals mit skeptischem Blick noch auf der anderen Seite
des Geschehens. Von daher gestehe ich jedem auch zu, uns nicht
verstehen zu können. Keiner steckt in der Haut (und damit im
übertragenden Sinne in den Empfindungen) des anderen.
Wird es irgendwann einfacher? Ein Blick in die Zukunft
Das Fordern nach der Befriedigung der Grunbedürfnisse ist bei meinem Sohn nach wie vor stark ausgeprägt. Teilweise ist ein Bedürfnis wie Essen oder Schlaf auch schwer zu stillen oder es kehrt in Dauerschleife und kurz aufeinander folgenden Frequenzen wieder. Er ist zum Beispiel sehr oft müde und überreizt, schläft zeitgleich aber am wenigsten in der gesamten Familie. Sobald er sich im Spiel sehr vertieft - denn sein Spieltrieb ist ganz genauso intensiv wie alle anderen natürlichen Triebe - da scheint er alles um sich herum zu vergessen. Sehr bald höre ich dann "Maamaaa, ich brauche ... ETWAS!" Dann heißt es erstmal, heraus zu spüren, was er ganz genau braucht. Häufig ist es dann alles auf einmal - Toilettengang, Trinken, Essen und Kuscheln oder Schnullern, um sich runter zu regulieren und alle Reize, die während des Spiels aus ihn einprasselten - zu verarbeiten.
Da mein Sohn seine Bedürfnisse sehr stark wahrnimmt und einfordert, also ausgeprägt für sich selbst sorgt, sichert er sich eigenständig eine zeitnahe und prompte Versorgung seiner selbst. Diese für ihn vrhersagbare Umsorgung seiner Bedürfnisse scheinen ihn ein großes Maß an gesundem Selbstwert und immenser Selbstwirsamkeit im weitesten Sinne ja quasi in die Wiege gelegt zu haben. Durch dieses stark entwickete Vertrauen in sich selbst und die ihn versorgenden Erwachsenen ist er ausgesprochen lebensbejahend, offen und zugewandt, sobald er merkt, dass ihm das Gegenüber wohlgesonnen ist. Mein Sohn hat ein sehr hohes Mitteilunsbedürfnis und kann sich nur seine charmante aber auch präsente Art sicher sein, dass er Gehör findet.
Für diesen besonderen Jungen wünsche ich mir eine leuchtende Zukunft - voll leuchtender Herzenswärme, voll mit Freudentränen und humorvollen, ehrlichen Freunden. Denn genau das sehe ich in ihm: Seine emotionale Stärke, Menschen aufrichtig und liebevoll zu begegnen, sie in ihren Bann zu ziehen und für andere (vermeintlich schwächere) Menschen selbstlos einzustehen - einfach weil er es selbst an sich so erlebt hat - einfach, weil das zu seiner unschlagbaren Stärke geworden ist - einfach, weil er es kann!