Beim Aufräumen der Spielmaterialien habe ich manches Mal viele, fleißige Helferlein. Ein anderes Mal räume ich alleine auf. Ausgeklügelte Aufräumspiele, ritualisierte Lieder oder die Aussicht auf die Obstpause nach dem Aufräumen kann hier natürlich ein probates Mittel sein, die Kinder zum Helfen zu animieren. Aber ist es das, was ich möchte? Die Kinder von Außen zu motivieren, damit sie etwas tun, was MIR gerade wichtig ist? Oder dass sie ein Verhalten erlernen, welches als gesellschaftsfähig gilt?
Diese Frage schlummerte schon länger in mir und die Suche nach der Antwort darauf wurde während eines Lives auf bindungsorientiert.com angetriggert.
Was ich mir als Betreuungsperson schon lange auf die Fahnen schreibe ist doch im Grunde genau das Gegenteil:
Ich möchte die Kinder stärken, ihre eigenen Bedürfnisse zu erkennen. Ich möchte sie mitbestimmen lassen, damit sie einen gesunden und starken Selbstwert entwickeln. Ich möchte, dass sie soziale Fähigkeiten ausbilden und Üben, ihre eigenen Grenzen und die der anderen zu wahren. Geht das alles, indem ich die Kinder andauernd motiviere, Dinge zu tun, die sie aus sich heraus nicht tun wollen?
Die Kinder ziehen sich ihre eigenen Socken und Schuhe an der Garderobe alleine an. Aus Entdeckerlust, Spaß und aus dem Wunsch nach Selbstwirksamkeit heraus.
Die Kinder wollen sich an den Tisch setzen und fragen nach: „Essennn?“. Aus dem Hungergefühl heraus. Oder der Lust an der Gemeinschaft am Tisch.
Die Kinder setzen sich auf unseren (Morgenkreis)Teppich und patschen sich auf die Beine. Sie wollen singen.
Das Kind sagt zu mir „Kacka macht!“. Es möchte eine neue Windel. Aus freien Stücken! Aus dem inneren Antrieb heraus aufgrund eines eigenen, echten Bedürfnisses!
Meiner Meinung nach benötigt es deshalb nur in Ausnahmesituationen eine äußere Motivation! Denn schauen wir uns mal die Definition des Wortes „Motivation“ an, dann erkennen wir, dass eine extrinsisches Motivieren immer auch ein Stück weit lenkend, wenn nicht gar manipulativ ist.
„MOTIVATION:
Substantiv, feminin [die] PSYCHOLOGIE•PÄDAGOGIK
[...]
Einflüsse, die eine Entscheidung, Handlung o. Ä. beeinflussen, zu einer Handlungsweise anregen.“ Quelle: Google Wörterbuch
Wir beeinflussen die Kinder also mit überschwänglicher Motivation. Wir preisen etwas an, indem wir voller Elan ein Liedchen schmettern oder mit einer Belohnung winken. Wir aktivieren künstlich das Belohnungssystem im Gehirn, welches durch die Aussicht auf was „Tolles“ hin Glückshormone ausschüttet. Das Gehirn also im wahrsten Sinne des Wortes mit Pauken und Trompeten auszutricksen, ohne dass das Kind es merkt, ist schon recht manipulativ.
Wie kann es dann laufen? Erkenne den Inneren Antrieb!
Als liebevolle und möglichst authentische Begleiterin im Alltag der Kinder - so sehe ich mich. Nicht mehr, nicht weniger. Sowohl für meine eigenen, als auch für meine Tageskinder. „Begleiten“ bedeutet für mich, Interessen und Bedürfnisse zu erkennen und zu berücksichtigen - sowohl bei der Auswahl der Materialien, der Angebote, des Essens und der Umsetzung der Grundversorgung. Denn damit bewahre ich den Kindern eines der wertvollsten Schätze, eine ihrer größten Kompetenzen, die sie mit auf die Welt bringen:
Die intrinsische Motivation
Das Baby tut es immer wieder, weil es dabei Erfolg verspürt: Aus der Rückenlage dreht es sich auf den Bauch. Dieser Perspektivwechsel macht ihm Freude.
Die Zweijährige tut es immer wieder, weil sie dabei Zufriedenheit erfährt. Sie holt das Puzzle, benennt die Teile, sucht die passenden Lücken, vollendet ihre Aufgabe. Diese selbstbestimmte Handlung macht sie glücklich.
Das Grundschulkind tut es immer wieder, weil es wissbegierig ist & sich austauschen will: Es holt den Atlas und liest Mama zaghaft aber mutig die Landesnamen vor. Das macht es stolz, es fühlt sich gesehen in seinem Interesse.
Dieser Innere Antrieb ist Motor für die Kinder, sich an eine neue Aufgabe heran zu wagen.
Aus sich heraus. Selbstbestimmt, eigenständig, weil sie sich dafür interessieren, es ihnen Freude bereitet, sie dabei Erfolg verspüren (...)! Lass Deinem Kind geduldig seine Zeit - erlege Deinem Kind keine ungeliebten Aufgaben auf, nur weil „man das schließlich auch mal lernen muss“. Nutze stattdessen die Zeit, Dein Kind in seiner Entwicklung zu beobachten, damit du die Türen, die sich durch die intrinsische Motivation ganz von alleine öffnen - erkennst und vor allem ANerkennen kannst:
In Beziehung zueinander! Den inneren Antrieb wahrzunehmen ist für mich ein wichtiger Bestandteil dessen, Kinder beziehungsvoll und bedürfnisorientiert zu begleiten. Denn dann „müssen“ sie nichts tun, nur weil sie Angst vor einer Strafe haben. Dann „müssen“ sie nichts tun, um ein Lob zu erhalten. Nichts tun, damit das Belohnungssystem im Hirn künstlich aktiviert wird.
Nein - sie tun es aus sich heraus! Aus ihren eigenen Bedürfnissen heraus. Um zum Beispiel „Aufräumen“ zurück zu kommen: Zugehörigkeit ist auch ein Grundbedürfnis, welches die intrinsische Motivation aktivieren kann. Somit nehmen die Kinder irgendwann oder auch nur ab und zu ganz von allein teil an Aufräumaktionen. Und natürlich haben auch wir ein ritualisiertes Liedchen, welches ich oder wir gemeinsam singen. Doch das singen wir als Erkennungslied, nicht als unausweichliche Ansage. Entscheidend ist da deine innere Haltung. Singst du es, um zum Aufräumen zu bewegen oder einfach nur, um äußere Struktur vorzugeben und die Kinder selbst entscheiden zu lassen, ob sie das annehmen?
Den Grundstein zu legen bedeutet nicht, dass es keine Ausnahmen gibt!
Ist dieser Grundstein gelegt - dein Kind / deine Kinder fühlen sich gesehen und gehört in ihren Bedürfnissen - fühlen sich ernst genommen in ihrem Bestreben nach Autonomie und Selbstwirksamkeit, so sind sie nachweislich deutlich öfter bereit, von sich aus zu kooperieren. In Absprache miteinander und in Beziehung zueinander.
Doch natürlich kommt es im Alltag oft vor, dass Bedürfnisse von Kindern und Erwachsenen kollidieren. Dass äußere Umstände nicht viel Zeit zum Abwägen lassen. Oder dass Ängste der Eltern sich einschleichen.
Deshalb mein Appell an Dich: Siehst Du keinen anderen Ausweg und es droht dadurch gar eine Gefährdung des Kindeswohls, weil Du nicht weißt, wie du ohne Laut zu werden oder fest zu halten ein vermeintlich gemeinsames Ziel erreichen kannst?
Dann motiviere und manipuliere bitte!
In dem Fall ist das mehr als legitim und auch notwendig - zu deinem Schutz und zum Schutz deines Kindes!
Bei uns ist es zum Beispiel das Zähneputzen! Ja, ich weiß: heißes Thema. Genau deshalb mag ich dich dran teilhaben lassen.
Jedes meiner drei Kinder hat laufend bunte, in Tierform verschnörkelte Zahnbürsten (wobei sie ihre aus Bambus auch sehr mögen). Jedes Kind kann auswählen, ob elektrisch oder manuell. Wir putzen wahlweise lustige, plüschige Monster von den Zähnen oder bitten die Bauarbeiter, für heute ihre Baustelle zu schließen, die Bagger heim zu fahren.
Was hingegen beim Zähneputzen zum Beispiel der Beziehung ausgeprochen zuträglich ist, ist, die Zähne in Gemeinschaft zu putzen. Sich seine eigenen Zähne von seinem Kind putzen zu lassen. Auch mal Zähne öfter mitten am Tag zu putzen und die Wahl zu lassen, ob es jetzt dran teilnimmt. Das noch als ergänzende Mini Tipps zu dem Thema.
Bewahre Deinem Kind oder den von Dir
betreuten Kindern diesen wertvollen Schatz der intrinsischen
Motivation. Der Selbstbestimmung. Das ist wohl die beste und
natürlichste Prävention vor Manipulationen (mit bösartiger Natur) im fortgeschrittenem Alter.
Motivation oder Manipulation oder doch was ganz Anderes?
A) Macht: Ich werde übergriffig und hebe die Kinder ohne Ankündigung und womöglich sogar gegen ihren Willen vom Tisch.
B) Manipulation: „Ihr fallt da gleich noch runter, dann verletzt ihr euch ganz doll. Oh, das wird weh tun! Aua aua!“
C) Motivation: „Kommt schnell runter, ich habe leckere Knabberein für euch! Wenn ihr da jetzt ganz flink runter kommt, holen wir sie zusammen aus der Küche. Juhu! Wer will helfen?“
Meine Wahl fällt in der Regel jedoch eher auf
D) Miteinander:
Spiegeln, dass ich mich in die Kinder hinein versetzen kann.
Empathie entgegen bringen. „Ihr habt alle drei gemeinsam aus dem
Fenster geschaut und viele Sachen entdeckt! Das scheint euch wirklich
Freude zu machen. Ich stand daneben, um aufzupassen, dass keiner
runter fällt!“
Daraufhin benenne ich mein Bedürfnis und
formuliere deutlich meine Erwartung an die Kinder und begründe sie:
„Jetzt möchte ich aber zu den anderen Kindern gehen. Ihr kommt
jetzt bitte vom Tisch runter, weil ich nicht mehr hier stehen kann,
um aufzupassen“!
Wenn eine Aufforderung zu einer Handlung
mehrmals verneint wird und es mir als erwachsene aber dennoch ein
Bedürfnis ist, zb. die Sicherheit der Mädchen zu wahren - meine
Bedürfnisse also mit denen der Kinder kollidieren - DANN motiviere
ich mittels Spielchen. Ich unterstütze spielerisch. Aber Spielchen
mit einer ganz bestimmten Intention dahinter sind eben manipulativ.
Das ist aber nicht gravierend schlimm. Mir ist nur wichtig, dass man
sich dessen bewusst ist, dass man gerade eine Strategie anwendet,
mittels der man das Gehirn ein wenig austrickst. Ist doch ok! Und ja,
es macht Spaß: aber dieser Spaß ist extra produziert für ein ganz
bestimmtes Ziel!
Für mich persönlich sind diese Spielchen nicht
erstrebenswert im Umgang mit meinen Kindern - so wie es aber in
vielen anderen bedürfnisorientierten Blogs betitelt wird - sondern
nur eine Ausweichstrategie.
Dennoch: Bitte verkopfe dieses
Thema nicht zu sehr. Jedes Eltern-Kind(er)-Paar hat seinen ganz
eigenen FLOW mit unterschiedlichsten Temperamenten!